Naturheilkunde bei Krebs einsetzen?
Bezüglich dem Einsatz von naturheilkundlichen oder anderen komplementärmedizinischen Verfahren bei Krebspatienten sind sich viele Betroffene und Therapeuten noch unschlüssig. Was hilft wirklich? Was schadet? Was könnte im Einzelfall erwogen werden? Was ist zwar unwirksam, aber muss aufgrund einer geringer oder fehlender Wechsel- und Nebenwirkungen einzelnen Patienten nicht abgeraten werden, wenn dadurch – bei entsprechender Haltung des Patienten – zumindest ein Placebo-Effekt zu erwarten ist?
Unter der Koordination von Frau Professor Dr. med. Jutta Hübner wurde nun eine neue Leitlinie erstellt, die viele Fragen klären will.
Die neue S3-Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen Patienten
Ärztliche Empfehlung sollen im Sinne der evidenzbasierten Medizin aufgrund einer tatsächlichen Wirksamkeit (Evidenz) erfolgen. Die praktische Erfahrung eines einzelnen Arztes ist hierfür nicht von Belang – was zählt, sind aussagekräftige klinische Studien. Nur sie könnten zeigen, ob die Wirkung einer Therapieform tatsächlich größer ist als der Placebo-Effekt. Um die bisherige Datenlage aus Studien zu bewerten, veröffentlichen verschiedene Fachgesellschaften in Deutschland regelmäßig ärztliche Leitlinien. Sie dient Ärzten zur Entscheidungshilfe. Im Bereich der Komplementärmedizin bei Krebs wurde eine solche Entscheidungshilfe schon lange benötigt, um auch viele Fragen von Krebspatienten zu beantworten und gegebenenfalls Empfehlungen auszusprechen beziehungsweise auch von einzelnen Maßnahmen und Verfahren abzuraten.
Insgesamt finden sich 155 Empfehlungen in der neuen Leitlinie, die unter anderem durch Mitwirken der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie, der Deutschen Krebsgesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie erstellt wurden. Auch die Gesellschaft für Phytotherapie beteiligte sich an der Leitlinienarbeit, weshalb auch viele Heilpflanzen und Wirkstoffe aus Heilpflanzen in der Leitlinie aufgeführt werden. Daneben kommen Verfahren und Methoden wie Akupressur, anthroposophischer Medizin, Akupunktur, Mind-Body-Verfahren, Bioenergiefeldtherapien wie Reiki und sportliche Betätigung zur Sprache.
Leider gibt es für die meisten aufgeführten Verfahren noch keine aussagekräftigen Studien, weshalb die Empfehlungen der Leitlinie sehr oft zögerlich oder abwertend ausfallen.
Positive Empfehlungen gibt es unter anderem für Akupressur, Akupunktur, Cimicifuga, Ginseng, Ingwer, Meditation, Sport, Selen oder Yoga. Diese Positiv-Empfehlungen richten sich in erster Linie nicht auf die Wirksamkeit der einzelnen Verfahren als Krebstherapie, sondern zur Linderung einzelner oder mehrerer typischer Beschwerden.
Cannabis oder CBD bei Krebs? Keine Nennung in der Leitlinie
Etwas überraschend ist, dass weder Cannabis, noch deren Cannabinoide wie THC oder CBD in der Leitlinie genannt sind. Dies ist erstaunlich, wenn man sich das Interesse – nicht nur von Seiten der Betroffenen – für die Möglichkeiten von Cannabis oder CBD bei Krebs betrachtet. Mittlerweile sind einige Studien zu finden, die für den Einsatz von Cannabinoiden bei einzelnen Beschwerden wie therapieresistente Übelkeit oder Schmerzen finden. Zudem ist der Einsatz von Cannabinoiden in der Onkologie bereits vielerorts gängige Praxis. Warum Cannabis und Cannabinoide nicht aufgeführt sind, dafür findet sich keine Erläuterung in der neuen Leitlinie. Möglicherweise werden Cannabinoide schon nicht mehr als komplementärere Ansatz gesehen, sondern als fester Teil der klassischen Onkologie? Wer über den evidenzbasierten Einsatz von Cannabis oder seinen Cannabinoiden wie CBD bei Krebs lesen will, der muss also noch auf die 2020 überarbeitete Leitlinie „Supportive Therapie bei onkologischen PatientInnen – interdisziplinäre Querschnittsleitlinie“ zurückgreifen.
Achtsamkeit (MBSR) bei Krebs
Die Leitlinie führt auch diverse sogenannten Mind-Body-Verfahren auf. Dazu zählt neben Tai Chi, Qigong, Yoga oder Meditation auch die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (engl. Mindfulness Based Stress Reduction/MBSR). Mind-Body-Verfahren nutzen die wechselseitige Beeinflussung von Körper und Geist aus. MBSR-Kurse nutzen hierfür die Achtsamkeit, eine urteilsfreie Wahrnehmung des gegenwärtigen Augenblicks. Das MBSR-Programm dauert acht Wochen, während denen verschiedenen Techniken wie Meditation, Body-Scan oder langsames Yoga erlernt werden.
Die positiven Auswirkungen des Programms konnten inzwischen bei verschiedenen Erkrankungen und Beschwerden in Studien gezeigt werden. Auch Krebspatienten könnten von MBSR-Kursen profitieren, wie die Leitlinie – unter Auswertung der bisherigen Studien – zeigt. Die bisherigen Studien liefern kein eindeutiges Bild, weshalb die Empfehlungen der Leitlinie offen gestaltet sind.
Gemäß Leitlinie könnte MBSR
– zur Verbesserung der Lebensqualität
– Senkung der Fatigue und Ein- und Durchschlafstörungen
– zur Senkung depressiver Verstimmung, Angstsymptomen und der Stressrezeption
– zur Senkung der kognitiven Beeinträchtigung
bei Krebspatienten erwogen werden.
Bei Frauen mit Brustkrebs oder anderen gynäkologischen Tumoren könnte MBSR zur Senkung therapieassoziierter menopausaler Symptome erwogen werden.
Fazit: Ein Schritt in die richtige Richtung
Endlich muss das Thema Komplementärmedizin bei Krebs kein Tabuthema mehr in den Arztpraxen sein. Ärzte könnten sich mit der neuen Leitlinie ein umfassendes Bild von unterschiedlichen ergänzenden Therapieverfahren machen. Dazu zählen neben klassischen Säulen der Naturheilkunde wie die Phytotherapie auch neue Verfahren wie MBSR. Es ist zu hoffen, dass möglichst viele Onkologen und Ärzte anderer Fachrichtung die neue Leitlinie in ihrer Arbeit berücksichtigen. So könnten sie in Zukunft viele Fragen von Krebspatienten beantworten, die neben der klassischen schulmedizinischen Krebstherapie sich noch weitere Unterstützung durch naturheilkundliche Therapieformen erhoffen.
Die Autoren der Leitlinie haben dafür auf jeden Fall gute Vorarbeit geleistet. Auch die Handhabung der Leitlinie ist einfach: Ihre Inhalte sind in der kostenfreien Leitlinien-App integriert. Android-Smartphone- und iPhone-Nutzer könnten die Leitlinien-App hier herunterladen.
Wenn komplementärmedizinische Verfahren kein Tabuthema in der Arztpraxis mehr sind, könnten endlich auch viele Wechselwirkungen zwischen naturheilkundlichen Therapien und der schulmedizinischen Krebstherapie vermieden werden. Bis jetzt verschweigen viele Krebspatienten komplementäre Maßnahmen im Arztgespräch. Die neue Leitlinie will diesen Missstand beenden. In einer Presseerklärung heißt es: „Deshalb empfiehlt die Leitlinie, dass alle Krebsbetroffenen frühestmöglich und im Verlauf wiederholt zur aktuellen und geplanten Anwendung von komplementären Maßnahmen befragt, bei Interesse auf verlässliche Informationsquellen verwiesen und gezielt auf mögliche Interaktionen zwischen diesen Anwendungen und der Krebstherapie hingewiesen werden sollen.“
Zur Leitlinie
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