Eine Krebsdiagnose wiegt schwer. Eine Last, die mehr wiegt, als man eigentlich tragen könnte. Als die Autorin Sabine Dinkel die Diagnose Krebs erhielt, hat sich ihr Leben verändert. Für die neue Herausforderung hat sie sich auf dem Büchermarkt nach Unterstützung umgesehen. Als sie dort nichts fand, das ihr zusagt, hat sie selbst einen Ratgeber geschrieben. Entstanden ist der einfühlsame, unterhaltsame und ehrliche Ratgeber „Krebs ist, wenn man trotzdem lacht“. Er zeigt, wie Humor und der spielerische Umgang mit dem Schicksal Mut machen könnten.
Wir finden den Ratgeber sehr empfehlenswert. Frau Dinkel hat uns ein paar Fragen beantwortet, die wir uns während der Lektüre gestellt haben.
Ihr Buch „Krebs ist, wenn man trotzdem lacht“ ist im August 2017 erschienen. Mit dem Buch wollten Sie vor allem eins: Anderen Mut machen. Wenn ich das Buch und die vielen
positiven Rückmeldungen und Rezensionen lese, dann denke ich: Das ist Ihnen gelungen! Wie denken Sie heute darüber?
Sabine Dinkel: Ich glaube, meine Bücher sind so ziemlich das Heilsamste, was ich meiner Erkrankung abtrotzen konnte. Denn dank ihnen hab ich ein echtes Wofür in dem ganzen Schlamassel gefunden. Vor allem die konnte ich mir die Seele freischreiben und all das, was ich unbedingt weitergeben wollte, in eine bekömmliche Form gießen. Eine, die den LeserInnen mal keine zusätzliche Belastung beschert sondern vor allem eins: sie entlastet und im besten Fall sogar erheitert.
Wenn ich in Rezensionen lese, dass meine Bücher so gut tun, dass manche Leser sogar „vor Lachen vom Sofa gekippt“ sind oder sie sich schon auf den ersten Seite „ömmelig“ gelacht haben, freue ich mich diebisch. Steht da noch dazu, dass das Buch ein echter „Pageturner“ ist, „in jede Hausapotheke gehört“ oder zur „Pflichtlektüre in den Onkologien und Krankenhäusern“ werden sollte, weiß ich, dass mein Ziel sogar noch übertroffen wurde.
Das macht mich dann echt sprachlos – und unglaublich froh.
Was hat Sie beim Schreiben inspiriert?
Sabine Dinkel: Zum einen wollte ich den Beweis antreten, dass es möglich ist, einem echten Gruselthema den scharfen Stachel zu ziehen – mit Hilfe von Humor. Natürlich erntete ich im Vorwege skeptische Blicke und kritische Meinungen von anderen Betroffenen und besonders auch von Gesunden. „Krebs und Humor? Das geht gar nicht! Das könnte echt in die Hose gehen.“ Klar, könnte es das, das war mir durchaus bewusst. Um so wichtiger, einen Weg zu finden, es trotzdem zu tun. Was Humor könnte und wo er ungünstig ist, darüber schreibe ich ja auch in meinem Buch.
Zudem fand ich es absolut inspirierend, dass mir der humboldt Verlag im Vorwege so viel Vertrauen geschenkt hat. Auch für ihn war das Buch ein echtes Abenteuer und Wagnis. Ich durfte sogar das gesamte Buch illustrieren und noch dazu das Cover gestalten. Mir war bewusst, dass das eine echte Ausnahme war – umso mehr wollte ich, dass es auch wirklich so wird, wie ich es mir erträumt hatte.
Das Buch habe ich sehr sorgsam durchkomponiert. Alle Erklärungen, Tipps und Empfehlungen wurden mit Beispielen unterfüttert, von ausgewählten Zitaten, Anekdoten, O-Tönen und Witzen begleitet und an der passenden Stelle mit frechen Cartoons gewürzt.
Das alles hat mir einfach total Spaß gemacht!
Es ist ein sehr persönliches Buch. Sie haben nach Ihrer Krebsdiagnose Wege gefunden, sich Ihrem Schicksal positiv zu stellen. Aus einem Eierstockkrebs wurde dabei die „Schnieptröte“. Wie kam es zu dieser Taufe und was hat die bewirkt?
Sabine Dinkel: Ich hatte schon immer einen Sprachfimmel und eine Vorliebe für lustige Wörter. Ich mag auch altmodische Wörter, die vom Aussterben bedroht sind, wie zum Beispiel „Schabernack“, „Ulk“ oder „Frohsinn“. Schöne Sprache könnte sehr heilsam sein.
Immer dann, wenn ein Wort ungute Gefühle bei mir auslöst – ich merke das zum Beispiel an einem Stich in der Magengegend – suche ich nach einem markigen Ersatz. Es geht mir dabei nicht um Schönfärberei um jeden Preis, sondern darum, dass ich ein Wort hinterfrage und gerne durch ein bekömmlicheres Wort ersetze.
Zwei Beispiele: Zum einen versuche ich, das Wort „müssen“ so gut es geht durch „wollen“ zu ersetzen. Das klingt viel selbstbestimmter. Das Einzige, was wir müssen, ist irgendwann sterben. Selbst auf die Toilette müssen wir nicht wirklich, wir könnten es auch lustig laufen lassen, wenn wir bereit sind, den entsprechenden Preis – eine nasse Hose – dafür zu bezahlen.
Oder das Wort Metastasen. Das kriege ich nur mit dem erwähnten Stich in der Magengegend über die Lippen. Selbst wenn ich es nur lese, durchzuckt es mich. Daher habe ich ihnen den Namen „Doofmannsgehilfen“ gegeben. Das sagt doch genau das aus, was ihnen innewohnt: Sie sind doof. Und sie helfen dem Oberdoofmann bei der Expansion.
Als ich irgendwann beim Lesen der sehr pointierten Comics „Erzähl mir nix“ von Dr. Nadja Hermann das Schimpfwort „Schnieptröte“ entdeckte, war es um mich geschehen. Ich fand das Wort so piepskomisch, dass ich es unbedingt meiner Erkrankung verpassen wollte, um sie zu degradieren. Umgehend schrieb ich die Autorin an und bekam noch am selben Tag von ihr die Freigabe, das Wort offiziell nutzen zu dürfen.
Wenn ich nun zu jemandem sage „Ich habe Eierstock-Schnieptröte“ ernte ich erst mal fragende Blicke. Nach einer kurzen Erklärung folgt dann ein fettes Grinsen – eine ideale Basis, um miteinander ins Gespräch zu kommen und Scham und Befindlichkeiten links liegen zu lassen. „Ich habe Krebs.“ ist dagegen so gut wie immer ein Schocker. Das Gegenüber gerät in Verlegenheit und ringt darum, jetzt schnell die passenden Worte zu finden. Das ist für beide unangenehm. Da baue ich doch lieber eine humorvolle Brücke – und zwar so eine, die wir beide gerne betreten, um von dort aus der Schnieptröte auf den Kopf zu spucken.
Ich erfinde aber auch Worte für schöne Dinge: „Glückspeng“ zum Beispiel ist mein Wort für das kleine Glück: ein freundliches Lächeln geschenkt bekommen, eine Postkarte von einem lieben Menschen aus dem Briefkasten fischen, eine Stück Pflaumenkuchen mit Sahne schleckern, von einem Sonnenstrahl gewärmt werden oder mich auf dem Sofa mit den Hunden zusammenkringeln – so was sind für mich ganz wichtige Glückspeng-Momente.
Wenn Sie überlegen: Diese fünf Dinge verdanke ich der „Schnieptröte“. Welche fünf sind das?
Sabine Dinkel: 1. Meine Bücher. Ein Jahr nach „Krebs ist, wenn man trotzdem lacht“ habe ich ein weiteres Mutmach-Buch zur Welt gebracht: „Meine Arschbombe in die Untiefen des Lebens – Comic-Tagebuch einer Krebserkrankung“. Die LeserInnen schreiben mir so wunderbare E-Mails und Rezensionen, die mich besonders in schweren Zeiten tragen.
2. Meine Reha-Aufenthalte, bei denen ich mich geborgen fühle. Es tut mir so gut, mich mal drei Wochen am Stück nur um mein Wohl zu kümmern, mal keine Schorletherapie (Chemo) zu haben und Seele und Körper wieder aufzubauen.
3. Lesungen und Workshops zum Buch zu geben. Wenn ich bemerke, dass mir das Publikum trotz des Gruselthemas an den Lippen hängt und über meine Anekdoten herzhaft lachen könnte, gibt mir das einen großen Schub Glückspeng.
4. Eine kleine Reise nach München, inklusive professionellem Make up und Fotoshooting für Krebserkrankte bei Recover your smile e.V. Ich hatte dort nicht nur eine tolle Zeit, ich habe auch wunderschöne Erinnerungsfotos mit nach Hause genommen.
5. Ich war 2018 Protagonistin in der 25-minütigen TV-Dokumentation „Sterben gehört zum Leben dazu“, zusammen mit meiner Lebens- und Sterbeamme Claudia Cardinal. Sie hilft mir, einen guten Umgang mit dem Thema Tod und Sterben zu finden und gleichzeitig das Leben bestmöglich zu genießen. Der TV-Beitrag half den Zuschauern, weniger Angst vor dem Tod zu haben.
Ach, es gibt noch so viel mehr, das ich durch diese Erkrankung an guten Momenten erleben durfte. Ich versuche halt immer wieder, jeden Tag das Gute im Schlechten zu finden. Ganz oft gelingt es mir.
Ihr Buch spricht in erster Linie Menschen an, die unmittelbar mit der Krebsdiagnose konfrontiert sind: Betroffene, Angehörige oder Therapeuten. Ihr Buch spricht aber auch etwas zutiefst Menschliches an, das jeden von uns berührt, ob wir nun eine schwere Diagnose tragen oder gesund sind: Keiner hat ein Dauerabo für den Planeten Erde, irgendwann ist das Leben für uns alle vorbei. Wie sehen Sie das?
Sabine Dinkel: Ich hatte ein Leben lang Angst vor einer Schnieptröten-Diagnose, weil in meiner Familie schon viele auf „Planet Schnieptröte“ verloren gegangen sind; so nenne ich die neue Welt, in der ich seit der Diagnose lebe. Die Metapher des fremden Planeten habe ich damals im Krankenhaus von meiner Psychoonkologin geschenkt bekommen, ich finde sie sehr hilfreich. Und jetzt, wo ich auch auf diesem Planeten abgeworfen wurde, wird mir klar, dass das gar nicht das Schlimmste ist, was ich in meinem Leben erlebt habe. Das hätte ich niemals für möglich gehalten, denn die Angst davor, zu erkranken war sehr viel fieser als sie hätte sein müssen.
Krebs ist nichts, wofür man sich bedankt, doch er könnte einem helfen, seinen Fokus auf die wirklich wesentlichen und schönen Dinge zu richten und Trivialitäten links liegen zu lassen. Wenn man gesund und munter ist, werden viele Dinge gerne als selbstverständlich hingenommen. Doch sind die kleinen Glückspengs viel zu kostbar, als sie einfach achtlos zu konsumieren, als könnten wir sie jederzeit nachkaufen.
Angesichts meiner Diagnose – eine Heilung ist unwahrscheinlich – und der damit verbundenen ständigen Therapien und Kontrolluntersuchungen versuche ich so gut es geht, jeden Tag als ein kleines Leben für sich zu sehen. Klar habe ich auch meine schlechten Momente, in denen ich verzagt und ängstlich bin. Die gehören einfach dazu. Doch versuche ich täglich, meine Seele zu stärken, indem ich jedes garstige Erlebnis durch mindestens drei freudvolle Momente auszugleichen versuche.
Beispiel: Als ich neulich erfuhr, dass meine Tumormarker wieder steigen, bin ich erst mal mit meinem Mann frühstücken gegangen, habe anschließend lange mit einer guten Freundin geskyped und mich abends mit Wärmflasche und meinen Hundedamen ins Bett gelegt und „Modern Family“ auf Netflix geguckt. Und wenn ich mal so richtig schlecht drauf bin, schreibe ich 14 Tage lang abends vor dem Schlafengehen Dankbarkeits-Tagebuch. Das hilft mir, mich Stück für Stück wieder auf das Gute zu besinnen.
Mit das Schönste, was ich in letzter Zeit lesen durfte, war eine Whats App-Nachricht meines Verlegers Heinz W. Warnemann, der vor wenigen Jahren seine Frau an Brust-Schnieptröte verloren hat. Er schrieb mir, dass sein 13-jähriger Sohn Simon im Comic-Tagebuch 47 Seiten am Stück gelesen hatte und dann am nächsten Morgen schlaftrunken sagte „Ich finde das Buch sehr schön. Und es ist gut zu wissen, wie es Mama vielleicht auch an manchen Tagen ergangen ist.“
Allein dafür hat sich das alles schon gelohnt!
Vielen Dank für das Interview!
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