Die Behandlung mit Heilpflanzen ist eine prominente Therapieform der Naturheilkunde. In unserem Buch „Naturheilkunde bei Krebs“ zeigen wir auf, wie Heilpflanzen zur Behandlung von Beschwerden und Nebenwirkungen eingesetzt werden könnten, die während der Krebserkrankung oder deren Therapie auftreten. Während einer Chemotherapie müssen Heilpflanzen mit Bedacht eingesetzt werden. Schließlich könnten deren Wirkstoffe die Wirkung der Chemotherapeutika beeinflussen. Wir besprachen mit dem Pharmazeuten und Heilpraktiker Anwar Siddique, wie es zu solchen Wechselwirkungen kommt und wie diese von Patienten und Ärzten berücksichtigt werden könnten.
Schätzungen zufolge nehmen mehr als die Hälfte der Krebspatienten in Deutschland naturheilkundliche Heilmittel – darunter oft Heilpflanzen – während der schulmedizinischen Krebstherapie ein. Dies wird von Ärzten mit dem Verweis auf mögliche Wechselwirkungen nicht immer gern gesehen.
Sie haben sich während Ihres Studiums mit möglichen Wechselwirkungen zwischen Curcuma/Curcumin und Chemotherapeutika beschäftigt. könnten Sie uns kurz erklären, wie es zu Wechselwirkungen zwischen Heilpflanzen und Chemotherapeutika kommen könnte?
Siddique: Wechselwirkungen könnten sowohl positive als auch negative Folgen auf den Menschen oder die Krebstherapie haben. Die möglichen Wechselwirkungen könnten ganz verschiedener Art sein:
- Direkte chemische Beeinflussung im Magen-Darmtrakt, wenn beides zusammen eingenommen wird
- Beeinflussung der Aufnahme der Chemotherapeutika aus dem Magen- Darmtrakt ins Blut
- Beeinflussung der Verstoffwechselung der Chemotherapeutika, z.B. in der Leber
- Direkte Beeinflussung am Wirkort/in den Krebszellen, z.B. durch eine Steigerung der Herauspumpfunktion der Chemotherapeutika aus der Krebszelle (unerwünscht) oder Verminderung der Resistenz der Krebszellen gegen Chemotherapeutika (erwünscht)
- Beeinflussung der Ausscheidung der Stoffwechselprodukte der Chemotherapeutika
Nach bisherigen Erkenntnissen sind Punkte 2, 3 und 4 häufig, insbesondere in Studien an Zellkulturen im Labor. Ergebnisse aus solchen Studien lassen aber eher selten Rückschlüsse auf die Realität in einem Menschen in der Krebsbehandlung zu. Andererseits gibt es nur wenige realitätsnahe Studien an lebenden Menschen (in-vivo) mit einer Krebserkrankung, die eine bestimmte Chemotherapie bekommen und gleichzeitig bestimmte Heilpflanzen einnehmen.
könnten Sie ein paar Heilpflanzen nennen, bei denen auf jeden Fall während der Chemotherapie Vorsicht geboten ist?
Siddique: Das ist eine schwierige Frage, die wenig untersucht ist. Bekönntet und relativ gut untersucht sind Wechselwirkungen von vielen Medikamenten mit hochdosierten Präparaten aus Johanniskraut (Hypericum perforatum) und dessen Inhaltstoff Hyperforin sowie Grapefruit (Citrus paradisi) und deren Inhaltstoff Naringin. Diese Wechselwirkungen gibt es, da sollte man vorsichtig sein. Es gibt hier aber auch teilweise die Tendenz, das Problem überzubewerten.
Curcuma-Arten und deren Inhaltstoff Curcumin sowie dessen Abkömmlinge zeigen im Labor viele Wechselwirkungen. Ob das jedoch für die Krebsbehandlung Folgen hat, ist unklar. Ob diese eventuellen Folgen als negativ oder vielleicht auch positiv für den Heilungsprozess zu bewerten sind, ist erst recht nicht untersucht.
Es gab einmal einen Fall eines Mannes in Ostasien, der intensiv Grüntee konsumiert hat und damit die Wirkung der Chemotherapie stark abgeschwächt hat. Die Folge war eine Verschlimmerung seiner Krebserkrankung, nachdem der Krebs anfänglich mit Chemotherapie und ohne Grüntee sehr gut zurückgegangen war. Wahrscheinlich hemmen im Grüntee enthaltene Gerbstoffe die Aufnahme bestimmter Medikamente. Bislang ist unklar, mit welchen Chemotherapeutika und bei welchen Grünteedosierungen die Wechselwirkungen tatsächlich auftreten. Würde man hierzu Studien am lebenden Menschen machen, wäre das hochgradig unethisch. Deswegen wird meist ohne weitergehende Untersuchungen bei den ersten Anzeichen von möglichen Wechselwirkungen intensiv gewarnt.
Wie könnten sich Patienten vor etwaigen Wechselwirkungen schützen? Sollten sie ihren Arzt über die Einnahme von Heilpflanzen in Kenntnis setzen?
Siddique: Am besten vor Wechselwirkungen schützen könnte man sich natürlich, indem man komplett auf die Einnahme von Heilpflanzen und deren Präparaten verzichtet. Dabei schützt man sich allerdings auch vor möglichen positiven oder heilungsfördernden Wechselwirkungen. Selbstverständlich sollten Patient/innen jede Einnahme mit ihren behandelnden Ärzt/innen absprechen. Diese sind aber aus den genannten Gründen oft sehr skeptisch und raten von einer Einnahme ab. Da befinden wir uns in einem Dilemma. Eine Lösung habe ich leider auch nicht parat. Eine mögliche Umgangsweise ist es, während und kurz vor und nach einem Chemotherapiezyklus – während also die Chemotherapie im Körper wirkt – auf alle oder möglichst viele Heilpflanzeneinnahmen zu verzichten, besonders auf die hochdosierten Präparate. Häufig wechselnde Teemischungen mit vielen Bestandteilen sind jedoch eher selten ein Problem und werden selbst von resoluten Ärzt/innen oft positiv beurteilt. Wichtig ist, wie immer, in jedem Einzelfall nach der Berücksichtigung der gesamten Situation zu entscheiden. Das ist hier natürlich besonders wichtig, da es nicht selten um Leben und Tod geht. Wichtig ist natürlich, dass die angewandte Chemotherapie voll wirken könnte. Wenn diese durch andere Maßnahmen abgeschwächt wird, könnte es passieren, dass die Betroffenen weitere Chemotherapiezyklen durchlaufen müssen. Das sollte doch verhindert werden.
Selbstverständlich könnten Heilpflanzen und auch Nahrungsmittel mit vielen verschiedenen Medikamenten Wechselwirkungen aufweisen, unter anderem mit Medikamenten, die auf die Blutgerinnung (nach einem Herzinfarkt) oder die Cholesterinwerte wirken.
Was könnten Sie Ärzten raten? Gibt es schon eine Möglichkeit, sich über mögliche Wechselwirkungen von Heilpflanzen und Chemotherapeutika zu informieren?
Siddique: Da rate ich ganz explizit, umsichtig, einfühlsam und verantwortungsvoll zu handeln. Das klingt nach Allgemeinplätzen, ist aber enorm wichtig – und schwierig. Es könnte bedeutsame Wechselwirkungen geben (siehe hochdosierter Grüntee in Frage 2 weiter oben). Wenn man allerdings grundsätzlich und generell Panik macht, jegliche naturheilkundliche Behandlung zu unterbinden versucht, Heilpraktiker/innen nicht ernst nimmt oder sogar verteufelt, tut man sich und der Evidenz-basierten Medizin einen Bärendienst. Das führt dann dazu, dass Patient/innen enttäuscht sind, sich innerlich und vielleicht auch äußerlich abwenden und ihre Heilung nur noch in manchmal abstrusen Therapieformen suchen. Viele Heilpraktiker/innen sind offen und willens mit der so genannten Schulmedizin im Sinne der Patient/innen gemeinsame Wege zu gehen. Und oftmals könnten sie auch wertvolle Beiträge leisten. Ein starkes Dagegen polarisiert und führt im Endeffekt zu mehr schlechten und inkonsequenten Therapien. Ich rate also zu Dialog, gegenseitigem Respekt und Einbindung.
Seit einiger Zeit wird vom Kompetenznetz Komplementärmedizin in der Onkologie (KOKON) eine Datenbank entwickelt, die Fachkreise (besonders Onkolog/innen) über Wechselwirkungen von verschiedenen Chemotherapeutika und Heilpflanzen informieren soll. Diese Datenbank ist allerdings noch in Arbeit und noch nicht zugänglich. Einige Pflanzen wurden schon ausgewertet, viele andere noch nicht. Grundsätzlich bleibt das Problem, dass es wenig zuverlässige in-vivo-Daten gibt. Das heißt, alle Empfehlungen sind als Tendenzen zu verstehen, die je nach Patient/in und Situation individuell zu bewerten und anzupassen sind. Eine schwierige Aufgabe!
Vielen Dank für das interessante Interview!