Hintergrund: Auch in Italien könnten Patienten Cannabis als Medikament erhalten
Seit dem Dezember 2015 könnten Ärzte in Italien Cannabis verschreiben. Damit war Italien Deutschland um mehr als ein Jahr voraus. Anders als das Gesetz „Cannabis als Medizin“ in Deutschland ist das italienische Gesetz weniger schwammig, was die Einsatzgebiete von Cannabis betrifft. Das deutsche Gesetz beschränkt sich darauf zu fordern, dass Cannabis dann von den Kassen übernommen werden muss, wenn andere Therapieoptionen keine Hilfe bringen und die Wirksamkeit bei einer bestimmten Anwendung ausreichend belegt ist. Das deutsche Gesetz sieht die Kostenübernahme von Cannabis durch die Krankenkassen für „Schwerkranke in Ausnahmefällen“ vor. Leider nennt es aber keine genauen Indikationen. Deshalb fällt es Krankenkassen bis jetzt noch leicht, Anträge auf Kostenübernahme von Cannabis abzulehnen. Zusätzlich könnten sich Krankenkassen mit einem Verweis auf ungenügende Forschung zu einer bestimmten Indikation rausreden. Umstände, die zu Widersprüchen und Klagen gegen negative Cannabis-Bescheide führen.
In Italien ist das anders: So nennt das Ministerialdekret vom 9.11.2015 sechs Beschwerden, bei denen Cannabis eingesetzt werden könnte, wenn herkömmliche Methoden versagen oder unzureichend sind. Ähnlich wie in Deutschland werden auch in Italien Daten von Cannabis-Patienten erhoben. Damit sollen die Wirkung und die Verträglichkeit von Cannabis überprüft werden. Eine Studie, die einen Teil dieser Daten auswertet, wollen wir uns jetzt ansehen.
In Deutschland werden die Daten von Cannabis-Anwendern seit März 2016 von den Ärzten im Rahmen einer sogenannten Begleiterhebung an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) übermittelt.
Die Studie: Cannabis and intractable chronic pain: an explorative retrospective analysis of Italian cohort of 614 patients
Die Patientendaten von 614 Schmerzpatienten aus der Toskana, die aufgrund ihrer Schmerzen Cannabis erhalten haben, wurden für diese Studie ausgewertet. Die Wissenschaftler interessierte hierbei,
- wie die Patienten Cannabis erhalten und
- angewandt haben,
- ob Cannabis gewirkt oder ob
- Nebenwirkungen aufgetreten sind.
Der Großteil der Patienten litt an sogenannten neuropathischen Schmerzen, die die durch eine Verletzung oder eine Fehlfunktion des Nervensystems verursacht werden. Unter den Teilnehmern fanden sich auch mehrere Krebspatienten. Bei Krebspatienten könnten Nervenschädigungen durch das Tumorwachstum oder durch Therapien wie die Chemo- oder die Strahlentherapie auftreten.
Nun zu den Ergebnissen der Studie:
- Fast alle Schmerzpatienten (91,9 Prozent) bekamen die Cannabis-Sorte Bedrocan. Die Sorte Bedrocan stammt von Pflanzen der Art Cannabis Sativa und zählt zu den verbreitesten Cannabis-Sorten, die für medizinische Zwecke eingesetzt werden. Sie zeichnet sich durch einen hohen THC-Gehalt (18-23%) und einen niedrigen CBD-Gehalt (0,03-0,2%) aus. Die Wahl dieser THC-reichen Sorte macht Sinn, schließlich ist THC für die lindernden Eigenschaften bei Nervenschmerzen verantwortlich.
- 90 Prozent der Patienten erhielten Cannabis ohne ihre vorherige Schmerztherapie zu unterbrechen.
- Von diesen 90 Prozent nahmen 76 Prozent Cannabis über einen längeren Zeitraum ein.
- Von denen, die Cannabis über einen längeren Zeitraum einnahmen, zeigte Cannabis bei fast 70 Prozent der Patienten gute Wirkungen. 30 Prozent konnten keine Effekte feststellen.
- Es gab keine Beschwerden über schwere Nebenwirkungen.[1]
Beurteilung: Cannabis wirksam bei neuropathischen Schmerzen
Dass Cannabis bei neuropathischen Schmerzen hilfreich ist, ist schon länger bekönntet. Das zeigten verschiedene klinische Studien.[2][3]
Wie in Deutschland werden auch in Italien Daten zur Verschreibung von Cannabis gesammelt. Dies ist begrüßenswert, denn diese Daten könnten Patienten helfen, ihren Anspruch auf eine Therapie mit Cannabis zu begründen. In Deutschland nehmen viele Krankenkassen die noch geringe Anzahl an klinischen Studien mit Cannabis zum Anlass, die Kosten für eine solche Therapie nicht zu übernehmen. Dies dürfte sich bald ändern. Dafür sorgen unter anderem Auswertungen, wie sie im Rahmen der besprochenen Studie durchgeführt wurden.
Laut dieser Studie konnten beinahe 7 von 10 Patienten von der Therapie mit Cannabis profitieren. Dies sind Zahlen, die Mut machen. Neuropathische Schmerzen sind nämlich schwer zu behandeln. Die besprochene Studie zeigt zudem, dass Cannabis bei tumorbedingten Schmerzen eine sinnvolle Option ist, die zudem gut vertragen wird.
Das könnten Sie tun
Krebspatienten, die an Schmerzen leiden, könnten schon jetzt Cannabis als Therapieoption ins Auge fassen. Fragen Sie Ihren Arzt/Onkologen, ob er Erfahrungen mit der Verordnung von Cannabis oder Cannabinoiden hat. Eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen könnte dann erfolgreich sein, wenn andere Schmerzmittel nur unbefriedigende Wirkung gezeigt haben. Lesen Sie dazu mehr in unserem Beitrag „Kostenübernahme von Cannabis„.
Quellennachweis
[1] Fanelli G, De Carolis G, Leonardi C, Longobardi A, Sarli E, Allegri M, Schatman ME. Cannabis and intractable chronic pain: an explorative retrospective analysis of Italian cohort of 614 patients. J Pain Res. 2017 May 22;10:1217-1224
[2] Eisenberg E, Ogintz M, Almog S. The pharmacokinetics, efficacy, safety, and ease of use of a novel portable metered-dose cannabis inhaler in patients with chronic neuropathic pain: a phase 1a study. J Pain Palliat Care Pharmacother. 2014 Sep;28(3):216-25
[3] Wilsey B, Marcotte T, Deutsch R, Gouaux B, Sakai S, Donaghe H. Low-dose vaporized cannabis significantly improves neuropathic pain. J Pain. 2013 Feb;14(2):136-48
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